Schriftliche Anfrage: Wirecard: Internationale Rechtshilfeersuchen

Am 07.12.2020 befragte ich die Staatsregierung bezüglich internationaler Rechtshilfeersuchen im Fall Wirecard. Meine Fragen wurden am 08.02.2021 von dem Staatsministerium der Justiz beantwortet:

Meine Vorbemerkung:
Der Wirecard-Skandal beschäftigt auch den Freistaat Bayern. Im Zuge der aktuellen Aufklärungsarbeit werden komplexere Zusammenhänge bekannt, die dringend umfassendere Beleuchtung benötigen.

Vorbemerkung des Ministeriums:
Grundlage der nachfolgenden Antworten sind Auskünfte der bayerischen Staatsanwaltschaften und die mit den vorhandenen Recherchemöglichkeiten feststellbaren Vorgänge.
Die geltenden Aufbewahrungsfristen können dazu führen, dass zu älteren Rechts
hilfevorgängen im Sinne der Fragestellungen keine Informationen festgestellt werden konnten und diese Vorgänge daher in der Beantwortung nicht erscheinen.
Die Aufbewahrungsfrist bei Vorgängen zu eingehenden Rechtshilfeersuchen beträgt
regelmäßig fünf Jahre und beginnt mit dem Ablauf des Jahres der Weglegung (§ 4 Abs. 1 Aufbewahrungsverordnung [AufbewV] i. V. m. Kennziffer 601 der Anlage).
Die Staatsanwaltschaften erstatteten mit Ausnahme der Staatsanwaltschaft Mün
chen I Fehlanzeige.

Ich frage die Staatsregierung:

1. Welche Rechtshilfeersuchen mit Bezug auf Vorgänge im Zusammenhang mit der Wirecard AG, Tochterunternehmen oder Beschäftigten der o. g. Einheiten sind seit 1999 bei der bayerischen Justiz eingegangen?

2.1 Wenn es solche Rechtshilfeersuchen gab, von welchen Staaten wurden diese jeweils gestellt (bitte jeweils angeben mit Eingangsdatum bei der jeweiligen Landesbehörde, chronologisch sortiert seit 1999)?

2.2 Welche Erkenntnisse hat die Staatsregierung über den jeweiligen Umgang mit den Rechtshilfeersuchen (bitte angeben mit Bezug auf die jeweilig eingebundenen Behörden)?

2.3 Welche Erkenntnisse liegen der Staatsregierung über die Ergebnisse der jeweiligen unterstützten Rechtshilfe vor?

Bei der Recherche konnten insgesamt fünf Rechtshilfeersuchen im Zeitraum Januar 2012 bis Dezember 2020 festgestellt werden, die bei der Staatsanwaltschaft München I eingingen und einen Bezug zum Verdacht von Straftaten durch Verantwortliche oder Mitarbeiter des Wirecard-Konzerns, insbesondere der Wirecard AG und der Wirecard Bank AG, aufwiesen.
Auf Grundlage von Nr. 22a Abs. 2 Richtlinien für den Verkehr mit dem Ausland in
strafrechtlichen Angelegenheiten (RiVASt) darf Akteneinsicht in Rechtshilfevorgänge regelmäßig nur gewährt werden, wenn die ersuchende Behörde hierzu ihre Zustimmung erteilt hat, sofern nicht offenkundig ist, dass die Gewährung von Akteneinsicht den Zweck des Verfahrens der ersuchenden Behörde nicht gefährdet. Hintergrund der Vorschrift ist, dass Ermittlungen ausländischer Behörden nicht beeinträchtigt oder gefährdet werden sollen. Hiervon sind auch verfahrensspezifische Auskünfte zur ersuchenden Behörde, dem betreffenden Verfahren, dessen Inhalt sowie dem Ergebnis der Rechtshilfe betroffen.
Eine Zustimmung der ersuchenden Behörden zur Gewährung einer entsprechenden
Aktenauskunft liegt lediglich im Hinblick auf ein Rechtshilfeersuchen aus der Schweiz vor, das am 9. Oktober 2020 bei der Staatsanwaltschaft München I eingegangen und in der nachfolgenden Tabelle aufgeführt ist.
Von den oben genannten fünf Ersuchen gingen zwei vor dem 18. Juni 2020, dem
Bekanntwerden der Verweigerung eines Testats im Hinblick auf die Wirecard AG, ein.
Dabei handelt es sich um Rechtshilfeersuchen von US-amerikanischen Behörden
vom 4. Januar 2012 und vom 15. Januar 2015. Den beiden Ersuchen lagen Ermittlungen der US-amerikanischen Behörden gegen die Wirecard AG bzw. Verantwortliche des Wirecard-Konzerns zugrunde. Gegenstand der Ersuchen waren insbesondere Sachverhalte im Zusammenhang mit Onlineglücksspiel in den USA.
In dem Ersuchen vom 4. Januar 2012 baten die US-amerikanischen Behörden um
Übersendung verschiedener Unterlagen. Die Staatsanwaltschaft München I stellte den US-amerikanischen Behörden in der Folge Unterlagen zur Verfügung.
Mit Schreiben vom 15. Januar 2015 ersuchten die US-amerikanischen Behörden im
Ergebnis um Durchsuchung bei mehreren Tochterunternehmen der Wirecard AG. Die erbetenen Durchsuchungsmaßnahmen wurden am 1. Dezember 2015 durchgeführt.
Nach einem Beschluss des Oberlandesgerichts München zum Prüfungsmaßstab bei der Gewährung von Akteneinsicht nahm das US-amerikanische Justizministerium am 10. September 2018 das Rechtshilfeersuchen zurück, um die Vertraulichkeit der von dort übersandten Dokumente weiterhin zu gewährleisten.
Weitere Angaben zu diesen Ersuchen können nicht gemacht werden. Die US-ame
rikanischen Behörden baten in beiden Ersuchen ausdrücklich um strenge Vertraulichkeit. Aktuell trat das US-amerikanische Justizministerium durch Mitteilung vom 4. Dezember 2020 einer Vorlage von Unterlagen zu dem Ersuchen vom 15. Januar 2015 an den 3. Untersuchungsausschuss der 19. Wahlperiode des Deutschen Bundestages („UA Wirecard“) unter Berufung auf die Vertraulichkeit entgegen.
Nach Bekanntwerden der Verweigerung eines Testats im Hinblick auf die Wirecard
AG am 18. Juni 2020 gingen bei der Staatsanwaltschaft München I seit September 2020 drei weitere Rechtshilfeersuchen mit Bezug zu Straftaten von Verantwortlichen oder Mitarbeitern des Wirecard-Konzerns ein. Darin baten europäische Nachbarstaaten um Auskünfte über Ermittlungsergebnisse in den bei der Staatsanwaltschaft München I derzeit im Wirecard-Komplex geführten Ermittlungsverfahren. Es handelt sich um folgende Rechtshilfeersuchen:

Darüber hinaus konnten bei der Staatsanwaltschaft München I im Zeitraum von Januar 2015 bis Dezember 2020 insgesamt 183 Vorgänge zu Rechtshilfeersuchen ausländischer Strafverfolgungsbehörden festgestellt werden, die zwar einen Bezug zum Wirecard-Konzern hatten, aber Sachverhalte betrafen, in denen die Wirecard Bank AG bei Straftaten Dritter lediglich das kontoführende bzw. Kreditkarten ausgebende Kreditinstitut oder sogenannter Acquirer war. Nach Auskunft der Staatsanwaltschaft München I haben in diesen Fällen keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für eine strafrechtliche Verstrickung des Wirecard-Konzerns, beispielsweise wegen Beihilfe zur Straftat eines Dritten oder wegen Geldwäsche, bestanden. Insbesondere seien von den ersuchenden
ausländischen Behörden weder Verantwortliche oder Mitarbeiter der Wirecard Bank AG
als Beschuldigte benannt noch Hinweise auf eine – wie auch immer geartete – Tatbeteiligung in der Sphäre des Wirecard-Konzerns mitgeteilt worden.
Die Ersuchen erfolgten in Ermittlungsverfahren gegen Dritte und waren insbesonde
re auf die Erholung von Auskünften über Kontoinhaber und Finanztransaktionen oder auf die Sicherstellung von Kontoguthaben gerichtet. Gegenstand der ausländischen Ermittlungen waren oftmals betrügerische Internetangebote.
Derartige Auskunftsersuchen sind Geschäftsalltag bei den Staatsanwaltschaften,
auch im Hinblick auf andere Kreditinstitute. Die Zahl der festgestellten Ersuchen betreffend die Wirecard Bank AG ist nach Auskunft der Staatsanwaltschaft München I vergleichbar mit anderen Kreditinstituten, die wie die Wirecard Bank AG ein wichtiges Geschäftsfeld in der Zahlungsabwicklung im Bereich E-Commerce haben und im Vergleich zu Filialbanken erleichterte Möglichkeiten der Kontoeröffnung anbieten.

3.1 In welchen Fällen ist eine bayerische Behörde bei der Unterstützung der Rechtshilfeersuchen auf Hinweise gestoßen, die in weiteren Ermittlungen im Zusammenhang mit der Wirecard AG genutzt wurden?

3.2 In welchen Fällen hat die bayerische Justiz nach Hinweisen aus den jeweiligen Rechtshilfeersuchen eigene Untersuchungen eingeleitet?

Im Zusammenhang mit dem unter Frage 1 genannten Rechtshilfeersuchen der US-amerikanischen Behörden vom 15. Januar 2015 hat die Staatsanwaltschaft München I einen Prüfvorgang angelegt. Mit Verfügung vom 16. September 2015 wurde insoweit gemäß § 152 Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO) von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abgesehen, da nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft München I auf Grundlage des im Ersuchen mitgeteilten Sachverhalts keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für verfolgbare Straftaten durch Verantwortliche oder Mitarbeiter des Wirecard-Konzerns, insbesondere für eine im Inland verfolgbare Haupttat im Rahmen der Beihilfe zur unerlaubten Veranstaltung eines Glücksspiels nach §§ 284 Abs. 1, 27 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB), bestanden. Auf die Antwort zur Schriftlichen Anfrage der Abgeordneten Tim Pargent, Claudia Köhler, Toni Schuberl und Barbara Fuchs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) vom 30. Juli 2020 betreffend „Ermittlungen rund um die Wirecard AG“ unter Ziffer 5 der Tabelle 1 (Drs. 18/10113) wird Bezug genommen.
Am 10. August 2015 ging bei der Staatsanwaltschaft München I ein Rechtshilfe
ersuchen der Staatsanwaltschaft Reggio Calabria ein. Bereits vor Eingang des Rechtshilfeersuchens hatte die Wirecard Bank AG am 31. Juli 2015 eine Geldwäscheverdachtsmeldung übermittelt, in der auf die in Italien laufenden Ermittlungen gegen die Kontoinhaber aufmerksam gemacht worden war. Im Zusammenhang mit diesen Vorgängen leitete die Staatsanwaltschaft München I ein Ermittlungsverfahren wegen Geldwäsche gegen Beschuldigte, gegen die auch die italienischen Behörden ein Ermittlungsverfahren führten, ein. Die Wirecard Bank AG war insoweit nach Auskunft der Staatsanwaltschaft München I lediglich als kontoführendes Kreditinstitut involviert.
Ein Anfangsverdacht von Straftaten durch Verantwortliche oder Mitarbeiter des Wire
card-Konzerns habe sich nicht ergeben, zumal die Wirecard Bank AG den Sachverhalt selbst gemeldet, die Kontoverbindungen umgehend gekündigt und der Staatsanwaltschaft München I die auf den maßgeblichen Konten befindlichen Gelder für etwaige
vermögensabschöpfende Maßnahmen angeboten habe. Das Ermittlungsverfahren der
Staatsanwaltschaft München I gegen die italienischen Beschuldigten wurde mit Verfügung vom 15. September 2016 im Hinblick auf die gegen die Beschuldigten in Italien laufenden Ermittlungen eingestellt.
Am 22. Oktober 2019 ging bei der Staatsanwaltschaft München I ein Rechtshilfe
ersuchen österreichischer Behörden zu Konten bei der Wirecard Bank AG ein. Die Staatsanwaltschaft München I hat die in dem Ersuchen mitgeteilten Informationen in einem bereits anhängigen eigenen Ermittlungsverfahren gegen Dritte verwendet. Dieses
Ermittlungsverfahren wurde im Hinblick auf die in Österreich geführten Ermittlungen
wegen Abwesenheit der Beschuldigten oder eines anderen in deren Person liegenden Hindernisses gemäß § 154f StPO vorläufig eingestellt. Weder die in Österreich noch die bei der Staatsanwaltschaft München I geführten Ermittlungen richten sich gegen
Verantwortliche oder Mitarbeiter des Wirecard-Konzern. Der Bezug zum Wirecard-
Konzern besteht allein darin, dass Dritte bei der Wirecard Bank AG Konten unterhalten haben sollen.
Anlässlich eines Rechtshilfeersuchens der Schweizer Behörden, das am 10. Ok
tober 2019 bei der Staatsanwaltschaft München I einging, hat die Staatsanwaltschaft München I ein Ermittlungsverfahren wegen Geldwäsche gegen Verantwortliche der Kontoinhaberin, einer Gesellschaft, eingeleitet. Dieses Ermittlungsverfahren ist derzeit gemäß § 154f StPO vorläufig eingestellt.
Anlässlich eines von italienischen Justizbehörden am 9. November 2020 übermit
telten Rechtshilfeersuchens hat die Staatsanwaltschaft München I ein Ermittlungsverfahren wegen Geldwäsche gegen den Verantwortlichen der Kontoinhaberin, einer im Ausland ansässigen Gesellschaft, eingeleitet. Da diese Tatvorwürfe auch im italienischen Ursprungsverfahren bearbeitet werden, wird das deutsche Ermittlungsverfahren nach Auskunft der Staatsanwaltschaft München I voraussichtlich gemäß § 154f StPO vorläufig eingestellt werden.
Einzelne Erkenntnisse aus eingehenden Rechtshilfeersuchen werden bei den aktu
ellen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft München I gegen Verantwortliche des Wirecard-Konzerns verwendet. Nähere Informationen können hierzu nicht erteilt werden, um die Ermittlungen nicht zu gefährden oder zu beeinträchtigen.