Schriftliche Anfrage: Wirecard: Hinweise auf Betrug durch Finanzbeamten

Am 26.01.2021 befragte ich die Staatsregierung bezüglich Hinweise auf Betrug durch Finanzbeamten im Fall Wirecard. Meine Fragen wurden am 08.03.2021 von dem Staatsministerium der Finanzen und für Heimat beantwortet:

Meine Vorbemerkung:

Laut einem Bericht im Magazin Capital vom 18.12.2020 ( https://www.capital.de/allgemein/wie-steuerpruefer-wirecard-auf-die-spur-kamen?article_onepage=true) gab ein bayerischer Beamter des Landesamts für Steuern mehrfach Hinweise auf den Betrug bei Wirecard.

Daher frage ich die Staatsregierung:

1.1 Zu welchen Zeitpunkten erhielten die bayerischen Finanzbehörden Berichte zu Vorgängen im Zusammenhang mit der Wirecard AG (bitte chronologisch angeben unter Angabe des Anlasses des Berichts, weiteren Schritten, die daraufhin eingeleitet wurden, und der Stelle, die den Bericht verfasst hat)?

1.2 In welchen Zeiträumen fanden jeweils Betriebsprüfungen der Wirecard AG statt (bitte chronologisch angeben mit jeweiligem Ergebnis unter Angabe des eingesetzten Personals in Vollzeitäquivalenten [VZÄ] und dem jeweiligen Zeitraum, auf den sich die Prüfung bezog)?

1.3 In welchen Zeiträumen fanden jeweils Außenprüfungen der Wirecard AG statt (bitte chronologisch angeben mit jeweiligem Ergebnis unter Angabe des eingesetzten Personals in VZÄ und dem jeweiligen Zeitraum, auf den sich die Prüfung bezog)?

2. Wann gab es bei Vorgängen, die die Wirecard AG oder Tochterunternehmen betreffen, eine Zusammenarbeit zwischen dem Landesamt für Steuern und dem Bundesamt für Steuern (bitte chronologisch angeben unter der Angabe des Grundes für die Zusammenarbeit)?

3.1 In wie vielen Fällen wurde dem Finanzamt München von Beamtinnen und Beamten empfohlen, Aufnahmen von Bußgeld- oder Strafverfahren gegen die Wirecard AG, Tochterunternehmen oder Angehörige der Wirecard AG zu prüfen (bitte chronologisch angeben seit 2003 unter Angabe des Datums, des Grundes der Empfehlung und der Reaktion des Finanzamtes)?

3.2 In wie vielen Fällen hat das Finanzamt München die Staatsanwaltschaft München I wegen Erkenntnissen im Zusammenhang mit der Wirecard AG, Tochterunternehmen oder Angehörigen der Wirecard AG informiert (bitte chronologisch angeben seit 2003 mit Angabe des Datums, der Art des Austauschs, im Falle von persönlichem Austausch: den Namen der Beteiligten und dem Ergebnis der Information)?

An die Finanzbehörden übermittelte Berichte sowie öffentlich zugängliche Informationen werden, soweit sie für die Sachverhaltsaufklärung sachdienlich sind, selbstverständlich im Rahmen einer steuerlichen Außenprüfung ausgewertet.
Das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) wirkt gemäß §§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 19
des Finanzverwaltungsgesetzes  (FVG) in Verbindung mit § 20 Abs. 1 Betriebsprüfungsordnung (BpO) an den Außenprüfungen der Landesfinanzbehörden durch Prüfungstätigkeit und Beteiligung an Besprechungen mit. Im Rahmen seiner Prüfungstätigkeit hat der Bundesbetriebsprüfer dabei nach § 22 Abs. 1 Satz 1 BpO regelmäßig in sich geschlossene Prüfungsfelder zu übernehmen und diesen Teil des Prüfungsberichts zu entwerfen. Der Prüfungsstoff wird im gegenseitigen Einvernehmen auf die beteiligten Betriebsprüfer aufgeteilt.
Hinsichtlich des konkreten steuerlichen Bezugs zur Wirecard AG und zu sonstigen
Konzerngesellschaften steht der Beantwortung der Fragen insbesondere das Recht der Wirecard AG auf informationelle Selbstbestimmung und damit das Steuergeheimnis nach § 30 Abgabenordnung (AO) entgegen. Juristischen Personen des Privatrechts steht, ebenso wie natürlichen Personen, ein innerer Bereich des Geheimschutzes zu, der unter einen besonderen Schutz fällt und in den nur unter besonderen Voraussetzungen eingegriffen werden darf.
Vom Steuergeheimnis werden gemäß § 30 Abs. 2 AO alle personenbezogenen
Daten geschützt, die u. a. in einem Verwaltungsverfahren in Steuersachen, in einem Strafverfahren wegen einer Steuerstraftat oder einem Bußgeldverfahren wegen einer Steuerordnungswidrigkeit bekannt geworden sind. Dieser Schutz erstreckt sich dabei nicht nur auf die unmittelbar für die Besteuerung relevanten Tatsachen, sondern auf alle Daten eines Steuerpflichtigen, die das Besteuerungsverfahren betreffen bzw. dort bekannt geworden sind. Zu diesen Daten zählt somit auch das Verwaltungsverfahren selbst und damit die Information, ob und wann konkret Außenprüfungen stattgefunden haben oder welche Anträge in den Verfahren gestellt wurden. Auch Auskünfte, die rein verwaltungsinterne Vorgänge betreffen, sind nicht zulässig, soweit sie – auch nur mittelbar – Rückschlüsse auf persönliche, wirtschaftliche, rechtliche, öffentliche oder private Verhältnisse des Steuerpflichtigen (oder anderer vom Steuergeheimnis geschützter Personen) zulassen.
Die Antworten auf die Fragen sind dabei ungeachtet des am 18.12.2020 veröffent
lichten Artikels des Magazins Capital vom Steuergeheimnis umfasst. Zwar erstreckt sich das Steuergeheimnis nicht auf bereits offenbarte oder schon bekannte Vorgänge. Bekannt und demnach offenkundig ist nach ständiger Rechtsprechung, was jedem Interessenten ohne größere Schwierigkeiten und Opfer zugänglich ist. Eine bestätigende, korrigierende oder dementierende Auskunft z. B. zu einem Zeitungsbericht stellt jedoch eine Offenbarung und damit einen Verstoß gegen das Steuergeheimnis dar, wenn nur unbestätigte Informationen oder Vermutungen vorliegen. Zudem geht die Schriftliche Anfrage erheblich über die Bestätigung des im Artikel beschriebenen Sachverhalts hinaus.
Bei Schriftlichen Anfragen eines Abgeordneten kommt eine Offenbarung aufgrund
eines zwingenden öffentlichen Interesses nach § 30 Abs. 4 Nr. 5 Halbsatz 1 AO in Betracht. Dem parlamentarischen Frage- und Informationsrecht kommt im Gefüge des demokratischen Staats eine grundlegende Bedeutung zu.
Grenzen dieser Antwortpflicht ergeben sich nicht unmittelbar aus dem Steuerge
heimnis, sondern aus Grundrechten und sonstigen verfassungsrechtlichen Grundsätzen. Als Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gewährleistet das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 100, 101 Bayerische Verfassung (BV), dass der Einzelne über die Preisgabe und Verwendung der persönlichen Daten grundsätzlich selbst bestimmen kann. Dies gilt auch für juristische Personen des Privatrechts.
Um festzustellen, ob schutzwürdige private Interessen dem parlamentarischen
Fragerecht entgegenstehen, sind diese und das Informationsinteresse des Auskunft begehrenden Abgeordneten unter Berücksichtigung der Bedeutung der Pflicht zur erschöpfenden Beantwortung parlamentarischer Anfragen für die Funktionsfähigkeit des parlamentarischen Systems anhand der jeweiligen konkreten Gesamtumstände gegeneinander abzuwägen. Das schutzwürdige private Interesse wird dabei nicht allein dadurch relativiert, dass die betroffene Person weiten Kreisen der Öffentlichkeit bekannt und in den Medien präsent ist.
Um berechtigten privaten Geheimhaltungsinteressen Rechnung tragen zu können,
ist nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs auch eine Beantwortung entsprechender Fragen ohne öffentliche Drucklegung in Betracht zu ziehen. Im Rahmen der Abwägung ist auch die Geheimschutzordnung des Bayerischen Landtages (GeheimSchO; Anlage 2 der Geschäftsordnung für den Bayerischen Landtag – BayLTGeschO) zu beachten.
Im Hinblick auf die konkreten Fragen der Schriftlichen Anfrage überwiegen aller
dings die verfassungsrechtlich geschützten privaten Interessen der Wirecard AG und ihrer Tochterunternehmen das Informationsinteresse des Abgeordneten. Vor allem kann das Informations- und Fragerecht des einzelnen Abgeordneten nicht umfassender sein als die eigentliche Kontrollkompetenz des Parlaments. Diese erstreckt sich aber grundsätzlich nicht auf laufende Vorgänge der (Finanz-)Verwaltung. Die steuerliche Behandlung der Wirecard AG und ihrer Tochterunternehmen ist jedoch noch nicht abgeschlossen. Neben der aktuellen steuerlichen Aufarbeitung sind insbesondere auch die laufenden strafrechtlichen Ermittlungen zu beachten, die so wenig wie möglich beeinträchtigt werden dürfen. Durch die Beantwortung der Fragen bestünde die Gefahr, dass auf laufende Prüfungen und Entscheidungsvorbereitungen geschlossen und gegebenenfalls auf diese Einfluss genommen werden könnte. Dem kann auch nicht durch einen Verzicht auf die Drucklegung oder durch die Beantwortung unter Einstufung in einen Geheimhaltungsgrad begegnet werden.