Schriftliche Anfrage: Geheimnisverrat im Fall Wirecard?

Am 01.07.2021 befragte ich die Staatsregierung ob es einen Geheimnisverrat im Fall Wirecard gab. Meine Fragen wurden am 09.08.2021 von dem Staatsministerium der Justiz, im Hinblick auf die Frage 1 im Einvernehmen mit dem Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration beantwortet:

Meine Vorbemerkung:

Am 22. Juni 2021 wurde der Bericht des Wirecard-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestags veröffentlicht. Darin findet sich ein Chatverlauf zwischen der früheren Wirecard-Justiziarin ____ und Jan Marsalek vom 4. Februar 2019 (Seite 1 636). 14 Tage später erließ die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) das umstrittene Leerverkaufsverbot für Wirecard-Aktien, nachdem die Staatsanwaltschaft München I entsprechende Hinweise ungeprüft an die BaFin weitergegeben hatte. Auf Seite 1 855 findet sich eine E-Mail der Person ____ an Dr. Markus Braun, in der dieser vor einem angeblich ausgestellten Haftbefehl gegen ihn gewarnt und zur Flucht aufgefordert wird.
Beide Hinweise deuten darauf hin, dass die Führungsebene der Wirecard AG aus Quellen staatlicher Ermittlungsbehörden frühzeitig Informationen erhielt. Sollte dies zutreffen, wurden die Ermittlungen im größten Bilanzskandal der deutschen Nachkriegsgeschichte in einem Ausmaß gefährdet, das dringende Nachforschungen nötig macht.

Ich frage die Staatsregierung:

1.1 Welche Erkenntnisse liegen der Staatsregierung zu einem möglichen Geheimnisverrat nach § 353b Strafgesetzbuch (StGB) in den beiden vorliegenden Fällen vor?

1.2 Inwiefern wird die Staatsregierung diesen Hinweisen auf möglichen Geheimnisverrat nachgehen?

1.3 Liegen Anzeigen oder Ermittlungsverfahren wegen Geheimnisverrat in dieser Sache vor (bitte chronologisch angeben mit Datum des Eingangs bzw. Beginn des Verfahrens, dem Anzeigensteller/der Anzeigenstellerin, der ermittelnden Behörde und dem aktuellen Stand des Vorgangs)?

Für eine unerlaubte Weitergabe von Informationen aus dem Kreis der Ermittlungsbehörden, insbesondere eine Verletzung des Dienstgeheimnisses und einer besonderen Geheimhaltungspflicht nach § 353b StGB, bestehen auf Grundlage der Auskünfte der Staatsanwaltschaft München I keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte im Sinne eines Anfangsverdachts gemäß § 152 Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO).
Im Hinblick auf den Chatverlauf vom 4. Februar 2019 (Seite 1 636 des Abschlussberichts des 3. Untersuchungsausschusses der 19. Wahlperiode des Deutschen Bundestags, BT-Drs. 19/30900) teilte die Staatsanwaltschaft München I mit, dass die dortigen Angaben der damaligen Leiterin der Rechtsabteilung der Wirecard AG unzutreffend gewesen seien. Es habe kein entsprechendes Gespräch der Staatsanwaltschaft München I mit ____ oder mit dem genannten konkreten Inhalt („ob es jetzt nicht endlich reicht, dass sie gegen uns [Anm.: Wirecard] ermitteln.“) stattgefunden. Im Übrigen fehle es in rechtlicher Hinsicht an einem „Geheimnis“ im Sinne von § 353b Abs. 1 StGB, da eine Presseanfrage hiervon nicht erfasst sei.
Auch im Hinblick auf die Nachricht an den Beschuldigten Dr. Markus Braun vom 18. Juni 2020 gemäß Seite 1 855, BT-Drs. 19/30900, fehlt es nach Auskunft der Staatsanwaltschaft München I an einem realen Hintergrund. Die Angabe in der E-Mail vom 18. Juni 2020 um 12.48 Uhr, dass „um 14.30 Uhr“ ein Haftbefehl gegen den Beschuldigten Braun vollstreckt werde, sei unzutreffend. Am 18. Juni 2020, dem Tag der Bekanntgabe der Verweigerung eines Testats im Hinblick auf die Wirecard AG, habe noch kein Haftbefehl gegen den Beschuldigten Dr. Markus Braun bestanden. Gegen den Beschuldigten Dr. Markus Braun sei erstmals am 22. Juni 2020 ein Haftbefehl beantragt worden, der noch am selben Tag durch den Ermittlungsrichter erlassen und von der Staatsanwaltschaft vollzogen worden sei.
Auf die Antwort zur Anfrage des Abgeordneten Helmut Markwort (FDP) zum Plenum vom 5. Juli 2021 betreffend „Informationsleck bei der StA München“ (Drs. 18/17121, Nr. 16) wird ergänzend Bezug genommen.
Für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen Straftaten nach § 353b StGB besteht daher in beiden Fällen keine Grundlage. Nach Mitteilung der Staatsanwaltschaft München I liegen insoweit auch keine Strafanzeigen vor.

2.1 Gab es am 4. Februar 2019 einen Anruf von einem Journalisten der Financial Times bei der Staatsanwaltschaft München?

2.2 Wenn ja, um wie viel Uhr (bitte angeben mit der Person, ggf. anonymisiert, unter Angabe der Abteilung, die den Anruf entgegengenommen hat, und dem weiteren Umgang mit den Informationen aus dem Telefonat)?

2.3 Welche Erklärung hat die Staatsregierung dafür, dass ____  bereits um 14.39 Uhr des gleichen Tages hierüber Kenntnis erlangt hatte?

Bei der Staatsanwaltschaft München I gehen täglich eine Vielzahl von telefonischen Presseanfragen ein. Eine durchgehende statistische Erfassung nach Person des Anrufers, Uhrzeit sowie Inhalt von Frage und Antwort erfolgt nach Auskunft der Staatsanwaltschaft München I nicht.
Soweit bei der Staatsanwaltschaft München I feststellbar, habe nach deren Auskunft am 4. Februar 2019 kein telefonischer Kontakt mit ____  bestanden. Es habe zwischen der Staatsanwaltschaft München I und einem anderen Journalisten der Financial Times, wie mit anderen Journalisten auch, einen Austausch im Rahmen des presserechtlichen Auskunftsanspruches gegeben. Diesem Journalisten seien bei einem Gespräch, dessen Datum nicht mehr festzustellen ist, im Zusammenhang mit der Verneinung des Anfangsverdachts gegen Wirecard-Verantwortliche die Rechtslage und die Voraussetzungen einer Strafverfolgung nach deutschem Recht dargelegt worden. Es sei jedoch bei diesem Gespräch erinnerlich weder von dem Journalisten angefragt worden, „ob es jetzt nicht endlich reicht, dass sie (…)“, noch sei die Oberstaatsanwältin „fassungslos ob der Dreistigkeit“ (Anmerkung: der Anfrage) gewesen.
Nach Mitteilung der Staatsanwaltschaft München I bestehen dort keine Erkenntnisse, auf welcher Grundlage die Äußerungen der damaligen Leiterin der Rechtsabteilung der Wirecard AG zustande gekommen sind.

3.1 Gab es am 4. Februar 2019 ein Treffen oder einen anderen Austausch zwischen der Staatsanwaltschaft München I und Vertreterinnen/Vertretern oder Anwältinnen/Anwälten der Wirecard AG (bitte die Art des Austauschs und teilnehmende Personen inkl. Zugehörigkeit zur Einrichtung angeben)?

3.2 Ist den Vertreterinnen/Vertretern der Wirecard AG hierbei über den Anruf eines Journalisten der Financial Times (Frage 2.1) berichtet worden?

3.3 Wenn ja, warum?

Nach Auskunft der Staatsanwaltschaft München I habe Rechtsanwalt Franz Enderle als anwaltlicher Vertreter der Wirecard AG am 4. Februar 2019 das Original einer Strafanzeige, die zuvor bereits mit Telefax übersandt worden war, nebst Anlagen an eine Oberstaatsanwältin übergeben.
Es könne nicht mehr festgestellt werden, ob bei dieser Gelegenheit über einen Anruf eines Journalisten der Financial Times gesprochen wurde. Es könne jedoch ausgeschlossen werden, dass ein Anruf durch ____ oder ein Inhalt „ob es jetzt nicht endlich reicht, dass (…)“ Gegenstand eines etwaigen Gesprächs mit Rechtsanwalt Franz Enderle waren. Auf die Antwort zu den Fragen 2.1 bis 2.3 wird insoweit Bezug genommen.

4.1 Ist ____  befragt worden, woher sie die Information über den angeblichen Anruf von ____ bei der Staatsanwaltschaft München erhalten hat?

4.2 Wenn ja, mit welchem Ergebnis?

4.3 Wenn nein, warum nicht?

Aus den in der Antwort zu Frage 1 genannten Gründen besteht kein Anfangsverdacht für eine Straftat nach § 353b StGB. Die Staatsanwaltschaft ermittelt Straftaten. Die Fragen, ob und von wem die damalige Leiterin der Rechtsabteilung die falschen Informationen über den angeblichen Anruf von ____  erhalten hat, haben keine strafrechtliche Relevanz und können somit keine Grundlage für Ermittlungen sein.

5.1 Ist der Staatsregierung bzw. der Staatsanwaltschaft die Identität der Person ____ (S. 1 855 Untersuchungsbericht) bekannt?

5.2 Wenn nein, welche Nachforschungen wurden zur Klärung der Identität der Person ____ angestellt (bitte einzeln aufführen unter Angabe der beteiligten staatlichen Stelle, des eingesetzten Personen und möglicher Ergebnisse)?

6.1 Ist der Staatsregierung bekannt, woher ____ die vermeintlichen Informationen „aus der Staatsanwaltschaft“ erhalten hat?

6.2 Wenn nein, wurde die Person ____ befragt, wie sie am 18. Juni 2020 vermeintliche Informationen „aus der Staatsanwaltschaft“ erhalten konnte?

Auf die Antwort zur Anfrage des Abgeordneten Helmut Markwort (FDP) zum Plenum vom 5. Juli 2021 betreffend „Informationsleck bei der StA München“ (Drs. 18/17121, Nr. 16) wird Bezug genommen.

7.1 Welche staatlichen Stellen konnten in Besitz der Informationen kommen, die für die oben genannten Aussagen auf S. 1 636 bzw. S. 1 855 des Wirecard-Untersuchungsberichts nötig sind?

7.2 Welche dieser staatlichen Stellen wurden im Rahmen der Klärungen der Sachverhalte aus den Fragen 2.3 und 6.1 einbezogen?

Aus den in den Antworten zu den Fragen 1 und 3 genannten Gründen fehlt es bei maßgeblichen Aussagen der Nachrichten an einem realen Hintergrund. Es bestehen daher keine Anhaltspunkte, dass entsprechende (unzutreffende) Informationen aus dem Geschäftsbereich der Ermittlungsbehörden stammen.
Im Hinblick auf den Chatverlauf vom 4. Februar 2019 zu einer Presseauskunft liegt nach Auskunft der Staatsanwaltschaft München I auch kein Geheimnis im Sinne von § 353b Abs. 1 StGB vor. Für Ermittlungen fehlt es daher insgesamt an dem hierfür erforderlichen Anfangsverdacht. Auf die Antwort zu Frage 1 wird auch insoweit Bezug genommen.