Schriftliche Anfrage: Anonyme Hinweise auf Steuerbetrug in Bayern

Am 13.09.2021 befragte ich die Staatsregierung bezüglich anonymer Hinweise auf Steuerbetrug in Bayern. Meine Fragen wurden am 12.10.2021 von dem Staatsministerium der Finanzen und für Heimat im Einvernehmen mit
dem Staatsministerium der Justiz sowie dem Staatsministerium des Innern, für
Sport und Integration beantwortet
:

Meine Vorbemerkung:

Der Kampf gegen Steuerbetrug und Steuerhinterziehung ist von höchster Bedeutung.
Die geschätzten Schadenssummen liegen für Deutschland bei 45 Mio. bis 50 Mio.
Euro pro Jahr, das entspricht ca. 10 Prozent der jährlichen Steuereinnahmen. Große Betrugskomplexe wie die Cum-Verbrechen, aber auch die diversen Umsatzsteuerdelikte und die Wirtschaftskriminalität wie bei Wirecard wurden nur durch Hinweise an die Strafverfolgungsbehörden aufgedeckt. Das macht deutlich: Die Fahnderinnen und Fahnder profitieren, wenn möglichen Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern niedrigschwellige und schnelle Wege des Whistleblowings zur Verfügung stehen.

Ich frage die Staatsregierung:

1.1 Welche unterschiedlichen Möglichkeiten haben Bürgerinnen und Bürger, den bayerischen Behörden einen Verdacht auf Steuerbetrug zu melden (bitte einzeln aufzählen)?

Bei Verdacht auf eine steuerliche Verfehlung kann bei jeder Steuerfahndungsstelle oder anderen Dienststelle der Finanzverwaltung eine Anzeige (auch anonym) erstattet werden.
Folgende Möglichkeiten zur Anzeige eines Verdachts bei den bayerischen Finanzämtern bestehen:
– mündlich durch persönliche Vorsprache,
– mündlich per Telefon,
– per Schreiben,
– per Fax,
– per E-Mail.

1.2 Stehen alle diese Möglichkeiten auch Bürgerinnen und Bürgern, die ihren Wohnsitz außerhalb des Freistaates Bayern haben, zur Verfügung?

Ja.

1.3 Seit wann bestehen die Möglichkeiten aus Frage 1.1 jeweils?

Schon immer bzw. seitdem die bayerischen Behörden über das jeweilige Kommunikationsmittel verfügen.

2.1 Wie viele anonyme Hinweise sind in den letzten zehn Jahren bei den bayerischen Steuerbehörden eingegangen?

Statistische Aufzeichnungen zur Anzahl anonym eingehender Anzeigen werden nicht geführt.

2.2 Wie genau wird mit einer Meldung über die bestehenden Möglichkeiten umgegangen (bitte für jede Möglichkeit der Meldung exemplarisch beschreiben vom Eingang der Meldung bis zur Aburteilung unter Angabe der jeweils beteiligten Behörde)?

Die Finanzbehörden sind dem Legalitätsprinzip verpflichtet, wonach jeder Verdacht auf eine Straftat von der zuständigen Strafverfolgungsbehörde zu verfolgen ist. Jede bei den Steuerfahndungs- bzw. Bußgeld- und Strafsachenstellen eingehende Anzeige erhält daher – unabhängig von der Art der Meldung – ein Aktenzeichen und wird auf das Vorliegen eines Anfangsverdachts für eine Straftat geprüft.
– Bei Vorliegen eines Anfangsverdachts wird von der Finanzbehörde oder Staatsanwaltschaft ein Strafverfahren eingeleitet mit dem Ziel, die Umstände der Tat und die Verantwortlichkeit des Täters mit den Mitteln der Strafprozessordnung (StPO; strafprozessuale Maßnahmen) aufzuklären.
– Nach Durchführung der Ermittlungen wird entweder Anklage erhoben bzw. ein Strafbefehl beantragt oder das Verfahren nach § 170 Abs. 2 StPO (bei Zweifeln an der Verantwortlichkeit des Beschuldigten) oder den §§ 153, 153a StPO (bei geringer Schuld) eingestellt oder in ein Bußgeldverfahren übergeleitet. Unabhängig vom strafrechtlichen Verfahrensausgang werden steuerliche Folgerungen gezogen, soweit die rechtlichen Gegebenheiten dies ermöglichen.
– Kann ein strafrechtlicher Anfangsverdacht nicht festgestellt werden, liegen aber Anhaltspunkte vor, die steuerlich zu berücksichtigen sind, so wird der Sachverhalt im Rahmen einer Kontrollmitteilung an die Veranlagung oder die Prüfungsdienste weitergegeben.
– Liegen weder für eine strafrechtliche noch für eine steuerliche Prüfung des Sachverhalts hinreichende Anhaltspunkte vor, so wird der Vorgang ohne weitere Veranlassung geschlossen.

2.3 Inwiefern hat die Staatsregierung in den letzten zehn Jahren bis zum Stichtag Änderungsbedarfe am bisherigen Verfahren geprüft (bitte einzeln angeben)?

Änderungsbedarfe werden regelmäßig geprüft. Das bisherige Verfahren hat sich jedoch bewährt.

3.1 Welche Möglichkeit hat die bayerische Steuerverwaltung bei anonymen Hinweisen, Rückfragen an den Hinweisgeber zu stellen?

Keine.

3.2 Sieht die Staatsregierung den Bedarf, Rückfragen an anonyme Hinweisgeber zu stellen?

3.3 Wenn ja, wie möchte die Staatsregierung die Möglichkeit zur Rückfrage umsetzen?

Es wird davon ausgegangen, dass ernstzunehmende anonyme Hinweisgeber grundsätzlich eine Strafverfolgung wegen einer potenziellen Steuerstraftat bzw. eine Steuernachforderung auslösen möchten und daher von sich aus alle ihnen vorliegenden Informationen und Beweismittel übermitteln.
Der zahlenmäßig weitaus größte Teil der anonymen Anzeigen betrifft allerdings Hinweisgeber, die ohne genaue Kenntnis des Sachverhalts ein Fehlverhalten im steuerlichen Bereich lediglich vermuten (oder unterstellen) oder lediglich jemanden „anschwärzen“ wollen. Da diese Hinweisgeber bloß vage Angaben machen können und in der Regel über keine beweiserheblichen Unterlagen verfügen, die ihre Anzeige stützen könnten, ist nicht zu erwarten, dass aus der Möglichkeit einer anonymen Rückfrage ein substanzieller Mehrwert für ein eventuelles Verfahren erzielt werden könnte. Die Überprüfung erfolgt dann mit den üblichen Mitteln der Steuerverwaltung.

4.1 Wie viele Meldungen haben die bayerischen Behörden in den letzten zehn Jahren über die aktuellen Möglichkeiten aus Frage 1.1 erhalten (bitte, falls verfügbar, getrennt nach Möglichkeit und Jahr tabellarisch angeben)?

Bezüglich der Meldungen, die bei den bayerischen Behörden insgesamt eingingen, werden keine Statistiken geführt. Soweit Anzeigen bei den Steuerfahndungs- und Bußgeld- und Strafsachenstellen eingingen, wird darauf hingewiesen, dass die statistische Erfassung nicht nach Art ihres Zugangs trennt. Der Anzeigeneingang stellt sich dort wie folgt dar:

Die Erfassung der Zahlen zum Anzeigeneingang gehört für die Steuerfahndung nicht zur Bundesstatistik und wurde daher bis 2015 für Nord- und Südbayern unterschiedlich gehandhabt. Eine aussagekräftige Angabe für die Steuerfahndung ist insoweit erst ab dem Jahr 2016 (Vereinheitlichung der statistischen Aufzeichnungen) möglich.
Bei der Steuerfahndung handelt es sich bei dem dargestellten Anzeigeneingang ausschließlich um Anzeigen von Zivilpersonen oder Zivilinstitutionen, bei den Bußgeldund Strafsachenstellen können darüber hinaus auch Anzeigen von externen Behörden enthalten sein; eine weitere Aufschlüsselung ist nicht möglich.

4.2 Wie wurde mit den entsprechenden Meldungen jeweils weiter verfahren (bitte tabellarisch für die letzten fünf Jahre, nach Möglichkeit für mindestens „nicht weiterverfolgt“ und „weiterverfolgt“ angeben)?

Alle eingehenden Anzeigen werden aufgrund des Legalitätsgrundsatzes weiterverfolgt, vgl. Antwort zu Frage 2.2.

4.3 Inwiefern liegen der Staatsregierung Kenntnisse darüber vor, in welcher Höhe Steuerrückforderungen nach anonymen Meldungen nach Frage 1.1 entstanden sind (bitte angeben für die letzten fünf Jahre)?

Dazu liegen keine statistischen Aufzeichnungen vor. Eine Aufteilung der durch die Steuerfahndung erzielten Mehrsteuern auf die Herkunft der auslösenden Hinweise erfolgt nicht.

5.1 Hat die Staatsregierung in den letzten zehn Jahren die Einführung einer Online-Meldeplattform für Hinweise auf den Verdacht von Steuerdelikten geprüft?

5.2 Haben sich Angehörige bayerischer Behörden mit Angehörigen des Finanzministeriums Baden-Württemberg in den letzten fünf Jahren zu einer möglichen Einrichtung eines solchen Portals ausgetauscht (bitte unter Angabe der entsprechenden Behörde, des Datums und der Art des Austauschs)?

Die Fragen 5.1 und 5.2 werden insgesamt mit Nein beantwortet.

5.3 Hat die Staatsregierung die Einführung einer Online-Meldeplattform in anderen Bereichen (bspw. im Zuständigkeitsbereich des Staatsministeriums der Justiz oder des Staatsministeriums des Innern, für Sport und Integration) geprüft?

Im Geschäftsbereich des Staatsministeriums der Justiz wurden folgende Online-Meldeplattformen zur Meldung von Straftaten eingerichtet:
– Initiative „Justiz und Medien – konsequent gegen Hass“ in Zusammenarbeit mit der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM): Medienunternehmen können online Prüfbitten zu digitaler Hasskriminalität unmittelbar an den Hate-SpeechBeauftragten bei der Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus (ZET) bei der Generalstaatsanwaltschaft München übersenden.
– Online-Meldeverfahren für bayerische Abgeordnete und kommunale Amts- und Mandatsträger: Bayerische Abgeordnete und kommunale Amts- und Mandatsträger können online Prüfbitten zu digitaler Hasskriminalität unmittelbar an den HateSpeech-Beauftragten bei der Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus (ZET) bei der Generalstaatsanwaltschaft München übersenden.
– Meldeplattformen für Korruption und andere Vermögensstraftaten im Gesundheitswesen: Die Zentralstelle zur Bekämpfung von Betrug und Korruption im Gesundheitswesen (ZKG) bei der Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg betreibt seit Anfang Oktober 2021 eine Online-Meldeplattform, über die Hinweise auf Korruptionsstraftaten im Gesundheitswesen oder auch andere Vermögensstraftaten (insbesondere Abrechnungsbetrug) im Gesundheitswesen insbesondere von Beschäftigten aus dem Gesundheitssektor direkt an die dafür zuständige ZKG gemeldet werden können.

Im Geschäftsbereich des Staatsministeriums des Innern, für Sport und Integration besteht seit Februar 2018 die Möglichkeit, Anzeigen bei der Bayerischen Polizei online zu erstatten. Dieser von den Bürgerinnen und Bürgern bislang gut angenommene Service beschränkt sich bewusst auf einfach gelagerte Sachverhalte, die in der Regel keine aufwendigen Ermittlungen oder Sofortmaßnahmen erfordern. Hiervon umfasst sind derzeit nachfolgend aufgeführten Delikte:
– Online-Auktionsbetrug,
– Sachbeschädigung,
– Diebstahl oder Unterschlagung von Fahrrädern,
– Sachbeschädigung von Kfz,
– Diebstahl von Teilen eines Kfz sowie Diebstahl von Gegenständen aus einem Kfz.
Die Aufnahme komplexer gelagerter Sachverhalte und solcher, die zur rechtlichen Einordnung einer qualifizierteren Tatbestandsaufnahme bedürfen oder bei denen eine aufwendigere Beweisführung notwendig ist, eignen sich dagegen regelmäßig nicht für eine Online-Anzeigeerstattung bei der Bayerischen Polizei. Wie sich im bisherigen Betrieb zeigte, gehen die Bürgerinnen und Bürger bei einer Online-Anzeigeerstattung in der Regel davon aus, ihr Anliegen damit den Strafverfolgungsbehörden umfassend und abschließend mitgeteilt zu haben. Für ein anschließendes persönliches Vorsprechen bei der zuständigen Polizeidienststelle im Falle von notwendigen Nachermittlungen besteht hingegen oftmals nur sehr geringes Verständnis.

6.1 Welche Maßnahmen hat die Staatsregierung ergriffen, um die Richtlinie (EU) 2019/1937 (Quelle: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32019L1937&from=en#d1e39-17-1) umzusetzen (bitte tabellarisch und einzeln angeben)?

6.2 Welche Maßnahmen plant die Staatsregierung noch zu ergreifen, um die Richtlinie (EU) 2019/1937 umzusetzen (bitte tabellarisch und einzeln angeben)?

Nach Einschätzung des Staatsministeriums der Justiz sind die laufenden Umsetzungsbemühungen der Richtlinie (EU) 2019/1937 auf Bundesebene zunächst abzuwarten. Erst dann kann und muss entschieden werden, ob und inwieweit Umsetzungsbedarf sowie Umsetzungsspielraum auf Länderebene verbleibt.