Schriftliche Anfrage: Umsatzsteuerkarusselle

Gemeinsam mit meinem Kollegen Florian Siekmann frage ich die Staatsregierung:

1.1 Wie viele Mitarbeiter*innen werden innerhalb der bayerischen Finanzverwaltung zur Bearbeitung der Umsatzsteuerfälle eingesetzt?
1.2 Wie viele Mitarbeiter*innen werden innerhalb der bayerischen Finanzverwaltung zur Bearbeitung der Umsatzsteuer-Nachschauen eingesetzt?
1.3 Wie viele Mitarbeiter*innen werden innerhalb der bayerischen Finanzverwaltung zur Bearbeitung der Umsatzsteuer-Sonderprüfungen eingesetzt?
Zum Stichtag 1. Januar 2019 waren insgesamt 643 Vollzeitkräfte (ohne Sachgebietsleiter und ohne Kanzleikräfte) an den Finanzämtern ausschließlich zur Bearbeitung der Umsatzsteuerfälle (Umsatzsteuerstelle und Umsatzsteuer-Sonderprüfung) eingesetzt. Davon waren 232 Vollzeitkräfte in der Umsatzsteuer-Sonderprüfung eingesetzt. Gesonderte Aufzeichnungen über das eingesetzte Personal für Umsatzsteuer-Nachschauen werden nicht geführt.

2.1 Wie hat sich die Zahl der Mitarbeiter*innen in den verschiedenen Besoldungsgruppen seit dem Jahr 2011 entwickelt (bitte getrennt für die oben genannten Bereiche angeben)?
Die Entwicklung der Mitarbeiterzahl ergibt sich aus der nachstehenden Tabelle.
Die Zahl der Mitarbeiter (Ist-Besetzung) wird in den einzelnen Arbeitsgebieten nur in Summe ausgewiesen. Dabei wird lediglich nach der Dienstpostenbewertung in der Stelle unterschieden (z.B. Anzahl der Kräfte für Aufgaben mit Dienstpostenbewertung A 11 und höher). Wie die Dienstposten allerdings tatsächlich nach der Besoldungsgruppe der Beschäftigten besetzt sind, wird nicht ermittelt. Deshalb ist eine detaillierte Aufschlüsselung nach Besoldungsgruppen nicht möglich.

Jahr Für Aufgaben mit einer Dienstpostenbewertung nach BesGr.
A11 und höher A8, A9 und A9 + AZ Höchstens A7
2011 180,7 447,6 1,0
2012 180,7 450,3 1,2
2013 201,9 464,1 0,2
2014 201,0 485,7 1,2
2015 201,8 458,2 0,0
2016 200,4 450,2 0,0
2017 192,7 450,6 0,4
2018 186,4 456,7 0,4

 

2.2 Wie hat sich die Prüfungsquote bei der Umsatzsteuer seit 2010 entwickelt?
Die Prüfquote der Unnsatzsteuersonderprüfung entwickelte sich wie folgt.

Jahr 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018
Prüfquote 1,12% 1,02% 0,92% 0,89% 0,85% 0,8% 0,74% 0,7% 0,61%

 

Unabhängig davon ist die Umsatzsteuer regelmäßig auch Gegenstand von Betriebsprüfungen. Darüber hinaus werden die eingereichten Umsatzsteuer-Voranmeldungen nebst Umsatzsteuer-Jahreserklärungen kontinuierlich auf Unstimmigkeiten überprüft.

2.3 Nachdem der Bayerische Oberste Rechnungshof in seinem Jahresbericht 2014 kritisiert, dass Bayern bei der personellen Ausstattung seiner Finanzbehörden
im Bereich der Umsatzsteuersonderprüfer bei Unternehmen im Vergleich der Bundesländer auf Platz 16 lag, fragen wir die Staatsregierung, auf welchem Rang dieser Bereich im Vergleich der Bundesländer nach Einschätzung der Staatsregierung heute liegt?
Es muss darauf hingewiesen werden, dass es für die Vergabe der Grundkennbuchstaben Umsatzsteuer (GKB U) keine bundesweit einheitlichen Kriterien gibt. Die Anzahl der GKB U gibt die Zahl der Unternehmen im umsatzsteuerlichen Sinn wieder, die zur Abgabe einer Umsatzsteuererklärung verpflichtet sind und von der Finanzverwaltung als überwachungswürdig eingestuft
werden, wieder. Bayern hatte im Jahr 2018 im Bundesvergleich die meisten GKB U je vorhandenem Prüfer zu verzeichnen.

3.1 Wie viele Mitarbeiter*innen sind in der „Sonderkommission schwerer Steuerbetrug“ des bayerischen Finanzministeriums mit Fällen mit Bezug zu organisiertem, internationalem  Umsatzsteuerbetrug innerhalb Europas betraut?
Fälle von organisiertem, internationalem Umsatzsteuerbetrug gehören zum Aufgabengebiet der Sonderkommission schwerer Steuerbetrug (SKS). Die SKS ist den Steuerfahndungsstellen München und Nürnberg zugeordnet. In der SKS Nürnberg ist eigens ein Spezialkräfteteam (9 Personen) eingerichtet. Dieses arbeitet selbst an größeren Ermittlungskomplexen aus dem
Bereich der Umsatzsteuer-Betrugsbekämpfung und dient den übrigen Fahndungsprüfern/innen als Ansprechpartner. Es können aber selbstverständlich alle Prüfer/innen der SKS (derzeit rund 152 Mitarbeiterkapazitäten) mit entsprechenden Fällen befasst sein. Wie viele Fahndungsprüfer/innen derartige Fälle derzeit tatsächlich bearbeiten ist statistisch allerdings nicht erfasst.

3.2 Wie viele Fälle wurden von o.g. Sonderkommission seit ihrer Gründung verfolgt (bitte angeben mit aktuellem Bearbeitungsstand und ggf. erzielten Steuermehreinnahmen)?
Fälle mit Umsatzsteuerbetrugskarussellen werden statistisch nicht gesondert erfasst.

4.1 Wie viele Mitarbeiter*innen arbeiten innerhalb der bayerischen Justiz an Fällen mit Bezug zu organisiertem, internationalem Umsatzsteuerbetrug innerhalb Europas?
In den EDV-Systemen der bayerischen Staatsanwaltschaften werden Steuerstrafverfahren regelmäßig mit dem Tatvorwurf „Steuerhinterziehung“ geführt, ohne dass die Steuerart und die  Begehungsweise hinterlegt werden. Daher lässt sich nicht abschließend belastbar feststellen, welche Verfahren mit Bezug zu „organisiertem, internationalem Umsatzsteuerbetrug innerhalb
Europas“ geführt wurden und inwieweit derartige Verfahren derzeit bei den Staatsanwaltschaften anhängig sind. Demzufolge lässt sich auch nicht ermitteln, welche der bei bayerischen Gerichten und Staatsanwaltschaften tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit „Fällen mit Bezug zu organisiertem, internationalem Umsatzsteuerbetrug innerhalb Europas“ befasst waren/sind und welcher Anteil ihrer Arbeitskraft darauf im Verlauf der Zeit entfallen ist. Eine händische Einzelauswertung aller möglicherweise einschlägigen Verfahrensakten mit dem Ziel der Feststellung der Fallzahlen und des Personaleinsatzes wäre mit unverhältnismäßigem Aufwand verbunden.

4.2 Wie viele Fälle mit Bezug zu organisiertem, internationalem Umsatzsteuerbetrug innerhalb Europas wurden von bayerischen Staatsanwaltschaften seit 2010 verfolgt (bitte angeben mit aktuellem Bearbeitungsstand)?
Wie viele Verfahren mit Bezug zu „organisiertem, internationalem Umsatzsteuerbetrug innerhalb Europas“ die bayerischen Staatsanwaltschaften seit dem Jahr 2010 geführt haben, lässt sich anhand der EDV-Systeme der Staatsanwaltschaften nicht feststellen; auf die Antwort auf Frage 4.1 wird insoweit Bezug genommen.

Dem Staatsministerium der Justiz ist jedoch bekannt, dass in den letzten Jahren die Staatsanwaltschaft Augsburg in besonderem Maße mit der Strafverfolgung in Bezug auf sog. Umsatzsteuerkarusselle befasst war. Der Leitende Oberstaatsanwalt in Augsburg hat dazu am 23. Mai 2019 berichtet, dass seine Behörde seit Mitte 2011 umfangreiche Ermittlungen betreffend
europaweit angelegte Umsatzsteuerkarusselle führt. Im Laufe der Ermittlungen wurden in dem Gesamtermittlungskomplex der Staatsanwaltschaft Augsburg mehr als 350 Personen als Beschuldigte geführt. Die Ermittlungen führten nach dem Bericht des Leitenden Oberstaatsanwalts in Augsburg bislang zu 55 Anklagen zum Landgericht Augsburg betreffend 116 Personen.
Hiervon wurden 86 Personen zu insgesamt 235 Jahren an Vollzugsstrafen verurteilt. Die höchste Strafe betreffend einen einzelnen Angeklagten beläuft sich auf 8 Jahre und 9 Monate Gesamtfreiheitsstrafe. Mit Stand vom 23. Mai 2019 sind noch sieben Strafverfahren aus dem Ermittlungskomplex beim Landgericht Augsburg anhängig. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Augsburg richten sich noch gegen 78 Personen. Drei weitere Anklagen zum Landgericht Augsburg sind in Vorbereitung.

5.1 Wie bewertet die Staatsregierung die Wirksamkeit des Reverse Charge-Verfahrens?
5.2 Inwieweit könnte das Reverse-Charge-Verfahren nach Ansicht der Staatsregierung ausgeweitet werden, um betrügerische Umsatzsteuerkarusselle zu bekämpfen?
Das Reverse-Charge-Verfahren wurde in der Vergangenheit für bestimmte Branchen eingeführt, u.a. für die Lieferung von Mobilfunkgeräten, Tablet-Computern u. ä., sowie die Lieferung verschiedener Edelmetalle. Auf diese Weise konnten Steuerausfälle in den genannten Wirtschaftssegmenten weitestgehend vermieden werden. Das ist zwar punktuell eine Verbesserung, führt jedoch letztendlich zu einer Verlagerung des Betrugs in andere Branchen. Rein nationale Regelungen für einzelne Wirtschaftssegmente erzielen langfristig nicht den gewünschten Nutzen, sodass die Ausweitung des Reverse-Charge-Verfahrens auf Grundlage gesamt-europarechtlicher Regelungen sinnvoll wäre. Bayern ist vor gut 15 Jahren mit der Einführung eines generellen Reverse-Charge-Verfahrens am Widerstand der EU gescheitert.

5.3 Befürwortet die Staatsregierung die Teilnahme Deutschland am sogenannten TNA-Verfahren (Transactional Network Analysis), um grenzüberschreitenden Umsatzsteuerbetrug früher erkennen zu können?
Bayern hat die Teilnahme Deutschlands an TNA (Transaction Network Analysis) zur Verbesserung des Eurofisc-Netzwerks auf EU-Ebene von Anfang an befürwortet und unterstützt eine aktive Beteiligung Deutschlands an TNA.

6.1 Arbeiten bayerische Behörden mit Behörden anderer Bundesländer zusammen, um Umsatzsteuerbetrug zu verfolgen?
Die Koordinierungsstelle für Umsatzsteuer-Sonderprüfungen und Steuerfahndungsmaßnahmen (KUSS) beim Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) unterstützt die Prüfungsdienste in länder- und grenzüberschreitenden Fällen beim Austausch von Informationen und koordiniert Prüfungs- und Ermittlungsmaßnahmen der Länder. Zentralstellen/Sonderprüfgruppen der Länder stehen auch in direktem Informationsaustausch untereinander bzw. mit anderen inländischen Behörden und können Prüfungsmaßnahmen selbst vornehmen oder an untere Behörden delegieren.

6.2 Welche politischen und juristischen Maßnahmen sind nach Einschätzung der Staatsregierung sinnvoll, um organisierten, internationalen Umsatzsteuerbetrug innerhalb Europas zu unterbinden?
Die Staatsregierung befürwortet von der Europäischen Kommission angekündigte kurzfristige Maßnahmen wie die Verbesserung des Informationsaustauschs und der gemeinsamen Analyse durch Steuer- und andere Strafverfolgungsbehörden, die Stärkung von Eurofisc und die Ausweitung der Möglichkeit gemeinsamer Prüfungen.

7.1 Welche Bestrebungen unternimmt die Staatsregierung auf bayerischer Ebene, um organisierten, internationalen Umsatzsteuerbetrug innerhalb Europas zu unterbinden?
Im Juni 2013 wurden zur Betrugsbekämpfung die Sondereinheit Zentrale Steueraufsicht (SZS) am Bayerischen Landesamt für Steuern (LfSt) sowie für besonders schwere Fälle der Steuerhinterziehung die Sonderkommission Schwerer Steuerbetrug (SKS) an den Finanzämtern München und Nürnberg-Süd gegründet. Mitte Oktober 2017 wurde die Online-Taskforce
E-Commerce am Standort Zwiesel des LfSt eingerichtet, die speziell gegen Steuerbetrug im Internet vorgeht.

7.2 Welche Bestrebungen unternimmt die Staatsregierung im Kontakt mit der Bundesregierung, um organisierten, internationalen Umsatzsteuerbetrug innerhalb Europas zu unterbinden?
Die Staatsregierung hat sich beim Bund erfolgreich für den Abschluss einer Gemeinsamen Absichtserklärung zwischen Deutschland und der Tschechischen Republik eingesetzt.

8.1 Welche Erkenntnisse hat die bayerische Landesregierung zu den aktuellen Märkten und Bereiche, die für den Karussellbetrug besonders attraktiv sind?
Aktuell tritt beim Handel mit Getränken sowie im Kfz-Handel vermehrt Karussellbetrug auf.

8.2 Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung zu Wettbewerbsverzerrungen im Bereich der kleinen und mittelständischen Unternehmen als Folge des Karussellbetrugs festgestellt?
Der Staatsregierung liegen hierzu keine Erkenntnisse vor.