Schriftliche Anfrage: Social-Media-Datenerfassung Bayerische Finanzämter

Die Verwendung von Daten, die Nutzer*innen in sozialen Netzwerken über sich preisgeben, muss im engen Einklang mit geltendem Datenschutzrecht stattfinden – sei es durch Unternehmen oder staatliche Behörden. Länder wie die USA und Frankreich nutzen diese online erworbenen Daten bereits umfassend, um potenzielle Steuervergehen zu verfolgen. Berichte über eine mittlerweile zurückgezogene Dienstanweisung der Oberfinanzdirektion in NRW (WirtschaftsWoche, 9.8.2019, S. 82) zeigen, dass sich die deutschen Finanzbehörden bisher auf kein gemeinsames Vorgehen bei Online-Ermittlungen haben. Dadurch besteht einerseits die Gefahr, dass unrechtmäßig in die Privatsphäre von Bürger*innen eingedrungen wird. Andererseits müssen die Finanzbehörden auch den technologischen Wandel und die Digitalisierung ausreichend mitdenken und ihre Fahndungsmethoden an die sich ändernden Herausforderungen anpassen.

Daher frage ich die Staatsregierung:

1.1. Nutzen bayerische Finanzbehörden Informationen, die in der virtuellen Öffentlichkeit (bspw., aber nicht ausschließlich über Online-Portale wie Facebook, Instagram, LinkedIn etc.) verfügbar sind, um Informationen über Steuerpflichtige zu erlangen (bitte getrennt angeben für Daten, die öffentlich einsehbar sind und Daten, die erst nach dem Erwerb einer Zugangsberechtigung für das jeweilige Portal zugänglich sind; bitte Zeitraum seit erstem bis letztem bekanntem Einsatz angeben)?
Aufgabe der Finanzämter ist es, Steuern nach Maßgabe der Gesetze gleichmäßig festzusetzen und zu erheben (§§ 85, 249 Abgabenordnung (AO) – gg. §§ 385 ff. AO i.V. m §§ 160 ff. Strafprozessordnung (StPO)). Dabei werden die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, die für Steuerpflicht und Bemessung der Steuer maßgeblich sind, zugunsten wie zuungunsten des Steuerpflichtigen geprüft.

Im Rahmen der ordnungsgemäßen Erfüllung der in der Zuständigkeit der Finanzbehörden liegenden Aufgaben werden grundsätzlich alle zur Verfügung stehenden Informationen genutzt. Dies betrifft Daten, die in Online-Portalen öffentlich einsehbar sind, und solche, die erst nach Erwerb einer Zugangsberechtigung zugänglich sind.

Portale mit Zugangsberechtigung werden seit September 2017 durch die bayerischen Steuerfahndungsstellen genutzt. Über die jeweiligen Zugriffe werden keine gesonderten Aufzeichnungen geführt.

1.2. Wenn ja, in welchem Stadium des Prüfungs- oder Verfahrensprozesses wird entschieden, ob eine Online-Überprüfung stattfindet?
Die Steuerfahndungsstellen entscheiden jeweils im Einzelfall über Art und Umfang ihrer Ermittlungen. Das betrifft auch die Frage, ob und in welchem Umfang im rechtlich abgesteckten Rahmen eine Überprüfung von online verfügbaren Daten stattfindet.

1.3. Wenn ja (bei 1.1.), werden solche Online-Überprüfungen ohne Anlass oder erst nach einem Anfangsverdacht eingesetzt?
Ein Anfangsverdacht, d.h. die Einleitung eines Strafverfahrens, ist nicht Voraussetzung für die Zulässigkeit der Überprüfung von online verfügbaren Daten.

Anlasslose Ermittlungen werden in der Steuerfahndung nicht geführt. Ebenso findet keine routinemäßige Überprüfung statt.

2.1. Werden Online-Überprüfungen nur bei Betriebsprüfungen oder auch bei Prüfungen von natürlichen Personen eingesetzt?
Die Überprüfung von online verfügbaren Daten wird im Einzelfall sowohl bei Institutionen als auch bei natürlichen Personen durchgeführt.

2.2. In wie vielen Fällen wurden Online-Überprüfungen seit dem ersten solchen Einsatz verwendet (bitte angeben in absoluten Zahlen pro Jahr, getrennt nach Privatpersonen und der Rechtsform der geprüften Gesellschaften und Institutionen)?
Hierzu werden keine gesonderten Aufzeichnungen geführt.

2.3. Wie bewertet die Staatsregierung die Rechtmäßigkeit der Erstellung und Nutzung von sog. „Fake-Profilen“ durch die Finanzverwaltung, um Zugang zu nicht passiv zugänglichen Daten von Nutzer*innen zu erhalten?
Für Ermittlungsmaßnahmen im Internet wurden vom Bundesverfassungsgericht im Jahr 2008 in seiner Entscheidung zur Online-Durchsuchung (BVerfG Urteil vom 27. Februar 2008, 1 BvR 370/07) die folgenden Rahmenbedingungen und Voraussetzungen festgelegt:

Bei Ermittlungsmaßnahmen ist danach zu unterscheiden, ob die jeweilige Maßnahme den Grundrechtsbereich des Betroffenen lediglich berührt oder diesen verletzt. Eine Kenntnisnahme öffentlich zugänglicher Informationen ist dem Staat grundsätzlich nicht verwehrt. Daher liegt kein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht vor, wenn eine staatliche Stelle im Internet verfügbare Kommunikationsinhalte nutzt, die sich an jedermann oder zumindest an einen nicht weiter abgegrenzten Personenkreis richten.

Ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung liegt nicht schon dann vor, wenn eine staatliche Stelle sich unter einer Legende in eine Kommunikationsbeziehung zu einem Grundrechtsträger begibt, wohl aber, wenn sie dabei ein schutzwürdiges Vertrauen des Betroffenen in die Identität und die Motivation seines Kommunikationspartners ausnutzt, um persönliche Daten zu erheben, die sie ansonsten nicht erhalten würde.

Danach wird die reine Internetaufklärung in aller Regel keinen Grundrechtseingriff bewirken. Die Kommunikationsdienste des Internets ermöglichen in weitem Umfang den Aufbau von Kommunikationsbeziehungen, in deren Rahmen das Vertrauen eines Kommunikationsteilnehmers in die Identität und Wahrhaftigkeit seiner Kommunikationspartner nicht schutzwürdig ist, da hierfür keinerlei Überprüfungsmechanismen bereitstehen. Dies gilt selbst dann, wenn bestimmte Personen – etwa im Rahmen eines Diskussionsforums – über einen längeren Zeitraum an der Diskussion teilnehmen und sich auf diese Weise eine Art „elektronische Gemeinschaft“ gebildet hat. Auch im Rahmen einer solchen Kommunikationsbeziehung ist jedem Teilnehmer bewusst, dass er die Identität seiner Partner nicht kennt oder deren Angaben über sich jedenfalls nicht überprüfen kann.Sein Vertrauen darauf, dass er nicht mit einer staatlichen Stelle kommuniziert, ist in der Folge nicht schutzwürdig.

Von den zulässigen Maßnahmen, die keiner Ermächtigungsgrundlage bedürfen bzw von der Generalklausel der §§ 399, 404 S. 1 AO und 161, 163 StPO erfasst sind, sind solche Maßnahmen jedoch klar abzugrenzen, die einen so erheblichen Eingriff darstellen, dass sie nur unter den Voraussetzungen zum Einsatz eines verdeckten Ermittlers § 110 a StPO zulässig wären. Dies ist je nach Intensität der Maßnahme im Einzelfall zu beurteilen.

Im Übrigen sind die im Besteuerungs- und Strafverfahren anzuwendenden Rechte zu beachten.

3.1. Nutzt die Finanzverwaltung privat erscheinende Benutzerprofile, um Online-Informationen auf den Plattformen einzusehen (Falls ja, bitte Anzahl der bekannten Profile angeben)?
Um den Ermittlungszweck nicht zu gefährden, werden privat erscheinende Benutzerprofile verwendet. Insgesamt gibt es 10 verschiedene Profile.

3.2. Nutzen Finanzbeamt*innen privat genutzte Benutzerprofile, um die Online-Informationen auf den Plattformen einzusehen (falls ja, bitte Anzahl der bekannten Profile angeben)?
Die Nutzung privater (=nichtdienstlicher) Profile von Beschäftigten zu dienstlichen Zwecken ist untersagt.

3.3. Gibt es andere Formen der Überwindung einer Zugangsberechtigung für Online-Plattformen neben sog. „Fake-Accounts“ oder der Nutzung privater Profile, die die Finanzbehörden nutzen, um auf Online-Daten zuzugreifen?
Nein.

4.1. Welche Kriterien müssen erfüllt sein, dass bayerische Finanzbehörden passiv zugängliche Informationen aus der virtuellen Öffentlichkeit nutzen (bitte einzeln aufzählen)?
4.2. Nach welchen Kriterien werden die Informationen ausgewertet (bitte in Stichpunkten angeben mit Gewichtung der Bedeutung des Kriteriums für die weitere Nutzung)?
4.3. Wie stellen die Finanzbehörden sicher, dass die Informationen, die durch die Nutzung der virtuellen Öffentlichkeit erworben wurden, korrekt interpretiert werden?
Die Fragen 4.1 – 4.3 werden gemeinsam beantwortet.

Die Steuerfahndungsstellen entscheiden jeweils im Einzelfall innerhalb der rechtlichen Möglichkeiten (Aufgaben und Befugnisse) über die Nutzung und Auswertung passiv zugänglicher Informationen. Auch die Interpretation der gewonnenen Erkenntnisse erfolgt unter Berücksichtigung weiterer vorliegender Erkenntnisse am konkreten Einzelfall. Feststehende, allgemein gültige oder anwendbare Kriterien gibt es hierfür nicht.

5.1. Welche Angaben und Informationen (bspw. Angaben zur persönlichen Biografie, Bilder und Videos, sog. „Like“-Angaben, …) von Nutzer*innen solcher Online-Portale werden in die Auswertung der Daten einbezogen (bitte stichpunktartig angeben)?
Gerade in elektronischer Form geben Personen und Institutionen einer großen Öffentlichkeit oftmals ein breites Spektrum an persönlichen oder beruflichen Informationen preis. Auch hier wird im Einzelfall entschieden, welche Daten für das zugrundeliegende Ermittlungsverfahren relevant sein können. Eine abschließende Aufzählung, welche Angaben und Informationen neben den bereits genannten verfahrensrelevant sein können, ist daher nicht möglich.

5.2. In welcher Form werden die Ergebnisse der Informationssuche in der virtuellen Öffentlichkeit dokumentiert (bitte stichpunktartig angeben)?
Die Dokumentation erfolgt in den Verfahrensakten.

5.3. Wie lange werden die Informationen gespeichert?
Für Verfahrensakten der Steuerfahndung gilt eine zehnjährige Aufbewahrungsfrist.

6.1. Plant die Staatsregierung, eine systematische Regelung für die Nutzung solcher Daten zu entwickeln?
Derzeit liegen keine entsprechenden Planungen vor.

6.2. Sieht die Staatsregierung den Bedarf, die Nutzung solcher im Internet erworbener Daten auszuweiten?
Derzeit wird kein Bedarf zur Ausweitung gesehen.