Zwischenfazit: Corona, Staatsschulden und Klimaschulden

Was wir für Generationengerechtigkeit in Bayern lernen können.

 

Die Corona-Krise hat unsere Gesellschaft seit Wochen fest im Griff. Während sich die Krankenhäuser auf Ausnahmezustände wie in Italien oder Spanien vorbereiten, bleiben wir zuhause und vermeiden damit eine weitere Ausbreitung des Coronavirus. Gleichzeitig beantragen viele Unternehmen Kurzarbeit, Notkredite und Soforthilfen, um nicht in die Insolvenz zu rutschen.

Branchen wie Gastronomie, Tourismus, Einzelhandel oder Kultur leiden für die Zeit der Ausgangsbeschränkung quasi unter einem Totalausfall. Auch Lockerungen des „Shutdowns“ führen nicht automatisch zu einer Erholung, denn große Teile des entstandenen Umsatzausfalls lassen sich nach der Krise - wann auch immer dies sein wird - nicht nachholen. Ein Hotelbett, das momentan leer steht, kann im Herbst nicht doppelt belegt werden. Löhne, Mieten und weitere Fixkosten müssen aber weiterhin gezahlt werden. Um die Wirtschaft in dieser brenzligen Situation durch die schwierige Zeit zu bringen, haben Bund und Länder milliardenschwere Hilfsprogramme auf den Weg gebracht. Alle Programme werden fast vollständig über Staatsschulden finanziert.

Dabei fragen mich viele Bürger*innen momentan zurecht, warum plötzlich so viele Schulden aufgenommen werden dürfen und ob wir diese Summen jemals zurückzahlen können. Die Fragen sind mehr als verständlich, übertreffen doch die aktuellen Hilfsmaßnahmen die Ausgaben der Finanzkrise 2009 deutlich. Außerdem wurde in den letzten zehn Jahren, geprägt vom wirtschaftlichen Aufschwung, die „Schwarze Null“ wie ein Mantra gepredigt. Bei der Predigt endete es aber nicht: Im Nachgang zur Staatsschuldenkrise wurden eine ganze Reihe von Mechanismen, allen voran die Schuldenbremse, rechtlich in den Verfassungen von Bund und Ländern verankert.

Vor diesem Hintergrund möchte ich mit Fokus auf Bayern darstellen, welchen Umfang die jetzigen Hilfsprogramme haben und was sie für die Bayerische Staatsverschuldung bedeuteten. Dabei möchte ich meine Überlegungen zur Rolle von Staatsschulden darlegen und diskutieren, was die jetzige Verschuldung für die Generationengerechtigkeit, den Klimaschutz und das Verhältnis von Wirtschaft und Staat bedeutet.

 

Was bisher zur Bekämpfung der negativen wirtschaftlichen Auswirkungen in Bayern unternommen wurde

In einem ersten Beschluss hat der Landtag im noch laufenden Verfahren der Verhandlungen zum Nachtragshaushalt 2019/2020 ein Sondervermögen mit dem Titel „Corona-Pandemie“ mit einem Volumen i. H. v. 10 Mrd. € in einer Rekordzeit von 3 Tagen beraten und beschlossen. Das ist nicht der einzige Rekord: zum ersten Mal seit dem Einzug der Grünen in den Bayerischen Landtag im Jahr 1986 haben wir einem (Nachtrags-)Haushalt der Staatsregierung zugestimmt. Finanziert werden bisher u.a. Sofortzahlungen für kleine und mittelständische Unternehmen & Freiberufler*innen, Bürgschaften für Unternehmen, Steuermindereinnahmen und, als letztes Mittel, staatliche Unternehmensbeteiligungen.[1]

 

Schuldenbremse und Schuldenstand in Bayern

Zur Finanzierung der Maßnahmen wurden bisher Schulden im Umfang von 10 Mrd. Euro am Kapitalmarktaufgenommen. Vermutlich hat sich diese Zahl zum Zeitpunkt, zu dem Sie diesen Text lesen, bereits auf 20 Mrd. Euro erhöht, da die Mittel zum jetzigen Stand lt. Staatsregierung nicht ausreichen werden. Besonders die Teilverstaatlichungen und die erwarteten Mindereinnahmen bei den Steuern bilden große Posten. Um sich den Umfang dieser Zahlen zu verdeutlichen, eignen sich die folgenden Darstellungen:

Haushaltsvolumen 2020

Ausgabevolumen (bereinigt): Gesamt 70,46 Mrd. € (inkl. 10 Mrd. € Corona-Sonderfonds)[2]

Geplantes Haushaltsvolumen 2020, neu: Gesamt 80,46Mrd. € (inkl. 20 Mrd. € Corona-Sonderfonds)[3]

Schuldenentwicklung Bayern

Trotz der Schuldentilgung im Umfang von etwa 7 Mrd. Euro zwischen 2010 bis 2019 ist es nicht gelungen, die durch die letzte Finanzkrise –entstandenen zu tilgen. Der Grund dafür, dass sich dieser Tatbestand nicht deutlicher in den Grafiken zeigt, liegt im zeitgleich deutlich gestiegenen Bruttoinlandsprodukt (BIP): durch höhere Einnahmen, auch für den Staat, ist die relative Schuldenbelastung niedriger. Das politische Ziel von Ministerpräsident Söder: „Bayern schuldenfrei bis 2030“ aus dem Jahr 2015[4] wurde bereits mit der Verkündung der Hightech-Agenda 2019 kassiert und ist nun endgültig gescheitert. Eine Lehre der Corona-Krise: Ankündigungen solcher Art sind mehr als gewagt und grob fahrlässig.

Schuldenbremse in Bayern

Damit der Freistaat überhaupt neue Schulden aufnehmen darf, müssen die Ausnahmeregelungen der 2013 beschlossenen Schuldenbremse genutzt werden. Denn die Schuldenbremse schreibt in normalen Zeiten einen ausgeglichenen Landeshaushalt ohne Neuverschuldung vor (Art. 82 Bayerische Verfassung (BVerG)). Allerdings sieht die Bayerische Verfassung in Art. 82 Abs. 3 Satz 1 auch folgende Ausnahmeregelung vor:

„Bei Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, kann von Abs. 1 abgewichen werden.“

Der Bayerische Landtag hat sich deshalb einstimmig auf diese Ausnahmeregelung berufen und damit die Neuverschuldung zugelassen. Konkret hat man sich darauf geeinigt, dass „[…] eine Naturkatastrophe vor[liegt], die sich der Kontrolle des Staates entzieht und welche die staatliche Finanzlage absehbar erheblich beeinträchtigt.“[5]

Damit sich die Schulden nicht von Krise zu Krise aufhäufen, schreibt die Schuldenbremse auch einen verbindlichen Tilgungsplan vor. Dieser sieht nun vor, die Schulden ab 2024 über 20 Jahre bis ins Jahr 2044 zu „je gleichen Teilen“ zu tilgen.[6] Vorher soll genug Zeit bleiben, um mithilfe von Konjunkturprogrammen, über die wir dann noch diskutieren müssen, zum Anfahren der Wirtschaft getätigt werden können.

 

Meine Bewertung der neuen Bayerischen Staatsverschuldung

Wie sich zeigt, lässt die aktuelle Gestaltung der Schuldenbremse ausreichend Spielraum, um in der jetzigen Krisensituation angemessen reagieren zu können. Kritisch sehe ich allerdings den lockeren Umgang mit der Tilgungsphase: eine ununterbrochene Schuldentilgung bis ins Jahr 2044 ist unwahrscheinlich. Denn die nächste Krise, sei sie eine Euro-, Finanz- oder die Klimakrise, wartet sicher nicht, bis die bayerische Staatsverschuldung abgetragen ist. Stattdessen deutet der Konjunkturverlauf der vergangenen Jahrzehnte auf Krisenereignisse alle 7-10 Jahre hin.

Neben den formalen Kriterien der Schuldenbremse, die vor allem auf die absolute Verschuldung abzielen, müssen wir auch die relative Staatsverschuldung berücksichtigen. Gerade die nationale Staatsverschuldung wird seit der europäischen Einigung auf die „Maastricht-Kriterien“  von 1992 als Prozentsatz des BIPs gemessen.[7] Auch deshalb ist es der Bundesrepublik gelungen, mit einem ausgeglichenen Haushalt (auch als „Schwarze Null" bekannt) und einer wachsenden Volkswirtschaft die relative Staatsverschuldung unter den durch diesen Kriterien  erlaubten Wert von 60%  zu drücken. Dadurch wird der Idee der Schuldentragfähigkeit berücksichtigt, da ein höherer Schuldenstand bei gleichzeitig hohem BIP leichter auszugleichen ist.

Die Bundesländer müssen sich formal nicht an Vorgaben, die an die relative Verschuldung gekoppelt sind, halten. Dennoch lohnt es sich, die Lage anhand solcher Richtwerte einzuordnen: So betrug die relative Verschuldung des Freistaats Bayern im Jahr 2018 4,3% des BIP. Die Schuldentragfähigkeit ist also gegeben. Das bekundet auch das Triple-A-Rating (AAA)[8] der Ratingagentur Standard & Poors. In Anbetracht dieses Ratings ist davon auszugehen, dass die Zinskosten weiterhin niedrig sein werden. Ein Festhalten an der Schwarzen Null erschiene also unnötig und angesichts der außergewöhnlichen Krise fahrlässig. Denn die Kosten der Schuldenaufnahme sind relativ gering und der Erhalt der wirtschaftlichen Stabilität langfristig wichtiger.

Mein Zwischenfazit: Die aktuelle Krise zeigt, dass die Möglichkeit der Staatsverschuldung ein außerordentlich wichtiges Instrument ist, um kurzfristig reaktionsfähig zu sein und Stabilisierungsmaßnahmen für Wirtschaft und Gesellschaft zu finanzieren. Die Leistungsfähigkeit der Bayerischen Wirtschaft in den vergangenen Jahren sowie die aktuelle Niedrigzinsphase ermöglichen es, dieses massive Stabilisierungsprogramm mit relativ niedrigem Aufwand auf den Weg zu bringen. Ob die Neuverschuldung aber wirklich wie geplant abgebaut werden ist aber doch sehr fraglich. Der Grundgedanke antizyklischer Fiskalpolitik bleibt bestehen: Spare in der Zeit, dann hast du in der Not.

 

Konsequenzen der Corona-Krise für Generationengerechtigkeit und Klimaschutz

Naturgemäß sind Schulden die Verlagerung von Lasten bzw. Kosten in die Zukunft. So erkaufen wir uns gerade große politische Spielräume, die wir erst im Rahmen der Schuldentilgung von 2024-2044 zurückzahlen müssen -vorausgesetzt, die Schuldentilgung verläuft nach Plan. Wir verlagern also einen erheblichen Teil der Krisenkosten auf zukünftige Generationen.

Die Schuldentilgung im Jahr 2044 werden Menschen finanzieren müssen, die heute noch nicht geboren sind. Diese Generation wird aber auch zu einem gewissen Teil von einer (hoffentlich) gelungenen Krisenbewältigung profitieren. Dennoch entspricht es nicht meiner Auffassung von Gerechtigkeit, die jetzigen Krisenkosten vollständig auf das Konto der künftigen Generationen zu buchen.

Es stellt sich also die Frage, ob nicht durch eine stärkere Besteuerung hoher Vermögen, sehr hoher Einkommen und Erbschaften in den Jahren direkt nach der Krise auch ein Teil der Krisenkosten erhoben werden sollte. Auch wenn unsere Generation genauso wenig für den Ausbruch der Pandemie und all ihrer schrecklichen Folgen Verantwortung trägt, müssen wir auch zumindest einen Teil der Kosten für die Sicherung unseres gesellschaftlichen Lebens übernehmen.

Ein Blick auf die ebenfalls akute Klimakrise zeigt, dass es hier ebenfalls hohe Kosten auf zukünftige Generationen verlagert werden: CO2 und andere Treibhausgase werden weiterhin in die Atmosphäre geblasen, weil es zu große Befürchtungen über einen vermeintlichen Verlust an Lebensqualität gibt.

Die Kosten hierfür zahlen kommende Generationen in doppelter Hinsicht: einerseits werden sie direkt unter den Folgen des fortgeschrittenen Klimawandels wie Wetterextremen oder steigenden Meeresspiegel leiden. Andererseits werden sie für die vielen Maßnahmen aufkommen müssen, die notwendig sind, um Deutschland an den Klimawandel anzupassen. Die Kosten unseres Wohlstands werden also in Form von „Klimaschulden“ genauso wie die „Corona-Schulden“ in die Zukunft verlagert.

Der große Unterschied ist, dass wir die Kosten der Klimakatastrophe kaum berechnen können. Der Klimawandel und dessen Kosten entwickeln sich nicht linear, sondern werden durch Rückkopplungseffekte beim Überschreiten sog. Kipppunkte sprunghaft steigen. Finanzpolitisch gesagt: Der Zinssatz unserer Klimaschulden ist unberechenbar hoch.

Für die Krisenbewältigung muss es nun also gelten, Klimaschutz und wirtschaftliche Stimulation zusammen zu bringen.[9] Nach der ersten Phase der wirtschaftlichen Absicherung, insbesondere jetzt, während der Ausgangsbeschränkungen, wird die Phase der Stimulation kommen, in der mit staatlichen Konjunkturpaketen die Wirtschaft wieder in Fahrt gebracht wird. Entscheidend ist dabei, wohin die Wirtschaft fährt.

In Anbetracht des fortschreitenden Klimawandels wäre es den kommenden Generationen gegenüber unverantwortlich, ohne Innehalten zum „business as usual“, also zu hohem Ressourcenverbrauch ohne Rücksicht auf Umwelt- und Klimaschäden, zurückzukehren. Deswegen muss der Staat mit ambitionierten Zielen und Regeln die Leitplanken setzen und die eigenen Staatsausgaben an ökologische und soziale Ziele knüpfen.

Diese Chance wurde in der Finanz- und Wirtschaftskrise 2009 schon einmal vertan, als mit der Abwrackprämie viele Autos durch spritfressende SUVs ersetzt wurden. Der Autoneukauf wurde mit keinerlei ökologischen Vorgaben kombiniert. Fehler wie diese dürfen wir nicht nochmal begehen, damit die Bewältigung der Corona-Krise auch eine Bewältigung der Klimakrise wird.

Die Forderung nach pauschalen Steuersenkungen (z.B. die vollständige Abschaffung des „Soli“) halte ich vor diesem Hintergrund für fehlgeleitet. Derartige Steuersenkungen haben keinerlei Lenkungswirkung und schmälern gleichzeitig den staatlichen Handlungsspielraum. Diese Einnahmen würden uns fehlen, um in ökologische Infrastruktur zu investieren oder die Kosten der Corona-Krise zeitnah zu refinanzieren.

Forderungen wie die Abschaffung des Soli oder nach Senkung der Unternehmenssteuer deuten für mich eher auf ein verqueres Staatsverständnis hin: Wer in Krisenzeiten (zurecht) große Programme zur Stützung der Wirtschaft fordert, kann nach der Krise nicht zugleich Steuersenkungen fordern. Wer so vorgeht, macht sich bei den Kosten der Krise vorschnell aus dem Staub und hinterlässt die Kosten mal wieder unseren Kindern und Enkeln.

Für die Krisenbewältigung muss gelten: Klimaschutz und Wirtschaftsstimulation müssen Hand in Hand gehen. Nur so können wir vermeiden, kommenden Generationen mit Corona-Schulden und Klima-Schulden doppelt die Zukunft zu verbauen.

 

[1] Welche Hilfen und Programme durch das Sondervermögen finanziert werden sollen, hat meine Kollegin Barbara Fuchs auf ihrer Homepage übersichtlich dargestellt.

[2] https://www.stmfh.bayern.de/haushalt/staatshaushalt_2019/haushaltsplan/Nachtrag.pdf

[3] https://www.stmfh.bayern.de/haushalt/staatshaushalt_2019/haushaltsplan/Nachtrag2.pdf

[4] https://www.sueddeutsche.de/bayern/finanzpolitik-schuldenfrei-bis-2030-1.2767761

[5] 1. Nachtragshaushaltsgesetz 2019/2020, S. 17f, abrufbar hier.

[6] Bei einer Neuverschuldung von 20 Mrd. Euro bedeutet das eine jährliche Tilgungsrate von 1 Mrd. Euro.

[7] https://www.bundesfinanzministerium.de/Web/DE/Themen/Oeffentliche_Finanzen/Stabilitaetspolitik/Fiskalregeln/fiskalregeln.html

[8] https://www.stmfh.bayern.de/internet/stmf/aktuelles/pressemitteilungen/24142/index.htm

[9] https://www.leopoldina.org/uploads/tx_leopublication/2020_04_13_Coronavirus-Pandemie-Die_Krise_nachhaltig_%C3%BCberwinden_final.pdf

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